Entschulungsexperimente in der grünen Oase
Erfolgreiche Arbeitstagung von »school is open« an der Humanwissenschaftlichen Fakultät
Vom 9. bis 10. Juli 2009 fand an der Humanwissenschaftlichen Fakultät die erste Arbeitstagung des BildungsRaumProjektes »school is open« statt. Bis zu 250 Personen nahmen an den Veranstaltungen teil.
»school is open« ist ein seit dem Sommer 2008 bestehendes, an der Universität Köln einmaliges Projekt, das von der Studierendenvertretung der Humanwissenschaftlichen Fakultät, dem StAVV, initiiert wurde. In verschiedenen Arbeitsbereichen werden neue Lehr- und Lernformen erprobt und studentisches Selbststudium und eine eigenständige studentische Wissenschaftsproduktion gefördert.
Neben der exemplarischen Präsentation bisheriger Arbeitsergebnisse war die Auseinandersetzung mit Raumperspektiven ein wichtiger Teil der Tagung. Dies wurde augenfällig demonstriert, indem im ersten Stock des Fakultätshauptgebäudes ein Rasen verlegt wurde. Experimentiert wurde ebenfalls mit neuen Möblierungen, mit denen Lernlandschaften in einem »open space« aufgebaut werden können. Mit der temporären grünen Rasen-Oase wurde ein Zeichen gesetzt, um zu lern- und lebensfreundlicheren Umnutzungen des Gebäudes zu kommen. Die positiven Erfahrungen sollen in studentische Vollversammlungen, weitere Umbau-Aktionen und in den geplanten Neubau eines dringend benötigten Verfügungsbaus für die Humanwissenschaftliche Fakultät einfließen.
Der spektakulär verlegte Innenrasen spiegelt die äußeren Naturflächen ins Gebäudeinnere. Die Architektur der Moderne des Fakultätsgebäudes mit ihren großzügigen Glasfronten sollte dadurch wieder wahrgenommen werden. Thematisch knüpften auch die Vorträge von Elke Gaugele über die zunehmende Verbindung von Mensch und Technik z. B. durch auf Körperwärme reagierende Tatoos (»TechnoNaturen«) und von Dieter Asselhoven über Naturbilder als Begründungen für autoritäre Sozialtechnologien (»Pädagogische Auswege aus dem Dschungelcamp«) am artifiziellen Charakter des Ortes an. Beide Vortragenden plädierten für einen humanen, nicht verwertungs- oder instrumentell nutzungsorientierten Naturbegriff und für eine entsprechende Pädagogik.
Das aus Studiengebühren finanzierte Projekt »school is open« plant auch die Gründung einer Laborschule und versucht frühere Erfahrungen mit Entschulungsexperimenten zu aktualisieren. Neben einigen Workshops zu diesem Vorhaben war der Höhepunkt der Tagung der Vortrag des bekanntesten zeitgenössischen Pädagogen Hartmut von Hentig, des Doyen der Laborschule Bielefeld. Er hielt ein Plädoyer für »Eine Schule für Alle«, die niemanden zurück lässt. Gleichzeitig sei eine Entschulung nötig, die hier und heute beginnen kann, weg vom starren Schulstundenrhythmus, von immer gleichen Lerngruppen und künstlichen Fragestellungen. Er wiederholte seine umstrittene These einer zweijährigen Beschulungspause im Übergang von der Kindheit zum Erwachsenendasein, in der Jugendliche reale Lebenserfahrungen sammeln sollen. Erziehung dürfe nie ihren Hang zum Experimentellen verlieren, müsse um immer neuen Zugang zu vielfältig geprägten Menschen bemüht sein.
Von Hentig entfaltete seine spannende Biographie vom Lateinlehrer zum international renommierten Bildungsforscher als eine parallele Geschichte von bildungspolitischen und erziehungswissenschaftlichen Tast- und Neuerungsversuchen.
Die Projektkoordinatorin Silke Kargl resümierte die Tagung mit den Worten: »Schulen und Hochschulen sind mehr als nur Anstalten zur Unterweisung von Inhalten. Sie dressieren auch durch starre Raumorganisation. Mit dem ›open space‹ wurde dieses Arrangement symbolisch und praktisch durchbrochen. Dem Appell von Hartmut von Hentig zu mehr Experimentierfreude und zum Verlassen ausgetretener Pfade folgen wir auch weiterhin.«
Donnerstag 9.7.2009:
09:00 Uhr | Open Space (1. Obergeschoss, HF) | Silke Kargl & Jonas Thiele
Begrüßung und Vorstellung der Arbeitstagung
09:15 bis 11:15 Uhr | Open Space (1. Obergeschoss, HF) | Elke Gaugele
Vortrag „TechnoNaturen“
Prof. Dr. Elke Gaugele (Akademie der Bildenden Künste, Wien) erläutert den Begriff „TechnoNaturen“ und führt uns in neues organisches Design, neue Technologien und deren subjektive Aneignung und alltagskulturelle Umdeutungen ein.
Elke Gaugele/Petra Eisele (Hg.) „TechnoNaturen. Design & Styles“
12:00 bis 13:00 Uhr | Open Space (1. Obergeschoss, HF) | Silke Kargl
Vorstellung des BildungsRaumProjektes und des »school is open«-Teams
www.schoolisopen.uni-koeln.de
14:00 bis 15:30 Uhr | Raum 235 | David Stoop & Jonathan Stoop
Vorstellung von Ergebnissen des Call for Papers
www.studierendenwissen.de | Schulprojekt in der Oper
Unser Call for Papers war ein Aufruf an Studierende zur Gestaltung von Arbeitspapieren, Thesen, praktischen Ratgebern oder Dokumentationen um ihren kritischen Blick auf Lehr- & Lernformen und BildungRäume auszudrücken. Einige wissenschaftliche Arbeitsprozesse werden der Öffentlichkeit präsentiert.
18:00 Uhr | Turnhalle | Hartmut von Hentig
Vortrag und Diskussion „Entschulungsideen und die Laborschule Bielefeld“
Hartmut von Hentig war Professor der Pädagogik und ist Begründer der Bielefelder Laborschule. Er hat unlängst erneut Furore gemacht mit dem Vorschlag, die Schulpflicht für Jugendliche während der Adolesenz auszusetzen, damit sie die Möglichkeit erhalten, realgesellschaftliche Erfahrungen zu machen. Die Diskussion um Entschulung und Mobilität ist auch Bestandteil des »school is open« Projekts.
Freitag 10.7.2009
9:00 bis 11.30 Uhr | Open Space (1. Obergeschoss, HF) |
Anne Klein & Venante Adoville Saague
Moderiertes Gespräch & Filme „Recolonize Cologne“ & „Die Geduldeten“
Was macht der Kaiser von Kamerun in Köln? Und warum erteilt er globale Pässe? Der neue Film von KANAK TV verlinkt die deutsche Kolonialgeschichte in Kamerun mit dem Kampf um globale Bewegungsfreiheit.
www.kanak-tv.de
10:00 bis 16:00 Uhr | Raum 241 | Dagmar & Rüdiger Hausmann
Zukunftswerkstatt „Bildungswesen“
Die Methode der Zukunftswerkstatt soll kennen gelernt werden als eine Möglichkeit, assoziative Kritik- und Denkprozesse zu bündeln und in einem hierarchiefreien Prozess in zielgerichtetete Handlungsformen zu überführen.
12:00 bis 14:00 Uhr | Raum 134 | Dieter Asselhoven
Vortrag „Ist die Welt ein Dschungelcamp? Naturbilder als Quelle des Irrationalen“
Die äußere Natur ist auf einen Status als kostenlose verwertbare Ressource reduziert. Zusätzlich werden irrationale Zerrbilder von erhabener Wildnis konstruiert und der bestehende Sozialdarwinismus zu einem „natürlichen“ Kampf Aller gegen Alle ontologisiert. Gibt es einen pädagogischen Hinterausgang aus diesem Dschungelcamp?
14:00 bis 20:00 Uhr | Raum 215 | Anni Hausladen
Workshop & Beratung „Stress in Unikommissionen? Netzwerkstrategien für Studierende“
Anni Hausladen, Supervisorin und Kommunikations-Trainerin berät Studierende, wie sie ihre politische Interessen über die Bildung von Netzwerken in Gremien vertreten können.
14:00 Uhr | Open Space (1. Obergeschoss, HF) | Evelyn Hinze
Gender-Intervention aus den Call for Papers
Gender – Hurlyburly
17:00 Uhr | Open Space (1. Obergeschoss, HF)
Abschlussplenum
18:00 Uhr | Aussengelände der HF
»school is open« – Fest mit Livemusik