09.11.2018
Modulinhalte „Erziehung im Nahostkonflikt“
Wir danken den Mitarbeiterinnen des German Desk von Yad Vashem, die uns in Workshops die Konzepte von kognitiver Empathie und der pädagogischen Arbeit gegen den Mnemozid näher gebracht haben.
Unter der Vision „Discover Inclusion and Diversity“ wollen die folgenden drei digitalen Lernmodule inklusive und vielfältige Zugänge zu Judentum, Jüdinnen und Juden, Israel und dem Nahostkonflikt ermöglichen. Dabei wollen wir es nicht allein bei Worten belassen, sondern alternative Handlungsmöglichkeiten und Interventionen aufzeigen um Antisemitismus zu beenden. Dieses Anliegen kann am ehesten in einer fächerübergreifenden unterrichtlichen Praxis erfolgen, die Erkenntnisse und Forderungen der Pädagogik, Politikwissenschaft, Soziologie, Judaistik, Linguistik, Religionswissenschaften und Philosophie, Geschichte, Geographie sowie des Völkerrechts und weiteren Disziplinen einbindet.
Modul 1 „Geschichte der Jüdinnen und Juden“
Modul 1 „Geschichte der Jüdinnen und Juden“ bietet Studierenden die Möglichkeit, Wissen und Kompetenzen zum jüdischen Leben vor, während und nach der Shoah zu erwerben. Im Zentrum des Moduls stehen Geschichten einzelner Individuen, in denen historisch-gesellschaftliche Prozesse sichtbar und nachvollziehbar werden. Es werden Lebensverläufe und Identitätserfahrungen von Jüdinnen und Juden im Kontext von Kultur und Religion aufgezeigt. Geschichten von einzelnen Menschen ermöglichen einen niedrigschwelligen Zugang zu komplexen Phänomenen und fördern kognitive Empathie. Dabei geht es um die Multiperspektivität jüdischer Lebensentwürfe.
Erfahrungen von Vertreibung und die Entwicklung jüdischen Lebens in der Diaspora werden im Modul aufgezeigt. Der methodische Umgang mit der Shoah durch die Fokussierung auf Einzelschicksale kann im Modul vertieft werden. Die Nennung von Namen und die Darstellung von Lebensgeschichten in allen Facetten von europäischen Jüdinnen und Juden verhindern so den Mnemozid, den „Gedächtnismord“ am europäischen Judentum. Auch zeitgenössische jüdische Biographien sind mit dem Staat Israel verknüpft. Im Modul werden Verbindungslinien von Jüdinnen und Juden zwischen Köln, Deutschland und Israel aufgezeigt.
Modul 2 „(Israelbezogener) Antisemitismus“
Modul 2 „(Israelbezogener) Antisemitismus“ beinhaltet den Wissenserwerb über Antisemitismus. Antisemitismus beschreibt „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die im Hass auf Juden Ausdruck finden kann“ und sich rhetorisch und physisch manifestieren kann (IHRA). Betroffen davon sind jüdische, aber auch nicht-jüdische Individuen, ihr Besitz und/oder jüdische Einrichtungen. Die Wissenskomponente schließt die Entstehungsgeschichte des Begriffes am Ende des 19.Jahrhunderts in Deutschland sowie die Etablierung als kulturellen Code mit ein (Volkov 2000). Im Modul wird Judenfeindschaft als kulturelle Codierung vermittelt, die immer mit einem anti-demokratischen, anti-modernen, anti-emanzipatorischen Weltbild einhergeht.
Die Studierenden erwerben im Modul Kompetenzen, die verschiedenen Formen von Antisemitismus identifizieren und abgrenzen zu können. Besonderes Augenmerk wird auf israelbezogenen Antisemitismus gelegt, da diese mitunter am virulentesten auftaucht und diskutiert wird. Hieran wird auch die fortdauernde Transformation von Antisemitismus deutlich: Antisemitische Stereotype, die auf Fantasien beruhen, werden auf den Staat Israel und seine Bewohner_innen projiziert (Schwarz-Friesel 2018). Diese „Umwegkommunikation“ ermöglicht es, sich dem Vorwurf des Antisemitismus zu entziehen (Schwarz-Friesel/Reinharz 2013).
Um Judenfeindschaft zurückzudrängen und andere, gelingende Vorstellungen im Umgang mit Judentum, dem Staat Israel und jüdischen Menschen zu entwickeln, hilft nicht die Beschäftigung mit dem vermeintlichen Kollektiv „der Juden“. Die Reflexion über die eigene Herkunft, die individuelle Genese des Wissens über Judentum, Jüdinnen und Juden und Israel sowie die bisherigen subjektiven Reaktionen und Interventionen erscheinen angezeigt. Das Modul möchte abschließend Studierende befähigen, in pädagogischen Kontexten agieren und intervenieren zu können, indem pädagogische und methodische Handreichungen miteinbezogen werden.
Modul 3 „Israel als demokratischer Staat im Nahen Osten“
Modul 3 „Israel als demokratischer Staat im Nahen Osten“ umfasst Wissen über die Entstehung des Staates Israel und ein reflexives Verständnis über den jüdischen Staat in seiner demokratischen Struktur. Israel ist die geografische Schnittstelle zwischen Europa, Asien und Afrika und ist von Meer, Wüste und Sonne geprägt. Der Staat Israel weist eine zwar relativ kurze, dafür umso vielschichtigere Geschichte auf. Erfahrungsberichte aus jüdischen Lebensentwürfen transportieren biblische Gründungselemente des Staates Israels und der jüdischen Präsenz in Judäa und Samaria bzw. der römischen und später osmanischen Provinz Palästina seit 2000 Jahren mit (DIG & SPMEG). Sie beziehen sich auf „Eretz Israel“, das Land Israel. Diese Ideen gehen in der nationalstaatlichen Bewegung des Zionismus auf. Ende des 19. Jahrhundert war es das Ziel eine sichere Heimstätte für die von Verfolgung bedrohten Jüdinnen und Juden zu schaffen. Die Zäsur der Shoah machte die Schaffung eines jüdischen Staates umso dringlicher – Israel ist nicht wegen, sondern trotz der Shoah entstanden. Die Existenz Israels steht seit der Unabhängigkeit 1948 unter der Androhung von Vernichtung, was zahlreiche Kriege und alltäglicher Terror widerspiegeln.
Israel ist dabei aber auch von Mobilität und Diversität geprägt. Israel ist Einwanderungsland (Lotem & Seitz 2013): Jüdinnen und Juden aus verschiedenen Teilen der Welt wollen in Israel leben – sie machen Alija. Bezeichnungen wie Aschkenasim, Sephardim/Misrachim oder Jeckes sind Hinweise auf ihre Herkunft. Neuere Einwanderungsbewegungen ermöglichen Jüdinnen und Juden aus Äthiopien oder dem Jemen ein sicheres Leben in Israel. Auch nicht-jüdische Menschen aus subsaharischen Gebieten fliehen nach Israel. Staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure der israelischen Gesellschaft wie Schulen oder Pfadfindergruppen entwickeln Strategien zum Umgang mit Diversität. Koexistenz ist ein Ansatz und bedeutet das gelingende Zusammenleben mit Araber_innen, muslimischen und christlichen Gläubigen sowie Minderheiten wie Drusen oder Beduinen.
Die allgegenwärtige Bedrohungslage für den Staat Israel zeigt sich in der Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt. Das Modul möchte die Studierenden befähigen, den Nahostkonflikt in seiner Entstehung und Komplexität zu verstehen. Dazu zählen Kenntnisse über Verstrickungen, Kollaborationen und Widerstandsaktivitäten verschiedener Akteur_innen in der Region während des 2. Weltkriegs. Bestandteil ist auch eine Darstellung des UN-Teilungsplanes in einen jüdischen und einen arabischen/palästinensischen Staat von 1947 sowie dessen Ablehnung durch die arabische Seite. Daran schließt sich die Vertreibung der jüdischen Bewohner_innen aus den arabischen Staaten sowie die der Aufruf arabischer Führer an die arabische Bevölkerung das britische Mandatsgebiet zu verlassen an (DIG & SPMEG). Es kann von einem Bevölkerungsaustausch gesprochen werden, der auch in anderen Gründungsprozessen von Nationalstaaten zu sehen war. Aktuelle Entwicklungen des Nahens Ostens unter kritischer Betrachtung der verschiedenen Akteur_innen wie des islamistischen iranischen Regimes (Grigat 2017) oder der Muslimbruderschaft (Küntzel 2003) sind Bestandteil des Moduls. Ziel ist es, dass die Studierenden ihre Kompetenzen bzgl. des Nahostkonflikts in pädagogischen Situationen nutzen können, sodass Schüler_innen ein reflexives Verständnis über den Nahostkonflikt entwickeln können.
Literatur
Deutsch-Israelische Gesellschaft und Scholars for Peace in Middle East, Germany (DIG & SPMEG) (Hrsg.). Ohne Jahr. Oldenburg.
International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA). 2016. Arbeitsdefinition von Antisemitismus. Online abrufbar unter: https://www.holocaustremembrance.com/de/node/196?focus=antisemitismandholocaustdenial (letzter Aufruf am: 09.11.2018).
Grigat, Stephan (Hrsg.). 2017. Iran – Israel – Deutschland. Antisemitismus, Außenhandel und Atomprogramm. Berlin: Hentrich & Hentrich.
Küntzel, Matthias. 2003. Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg. Berlin: ça ira.
Lotem, Itay; Seitz, Judith. ConAct (Hrsg.). 2013. Israel – Nah im Osten. Bonn: bpb.
Schwarz-Friesel, Monika; Reinharz, Jehuda. 2013. Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin: De Gruyter.
Schwarz-Friesel, Monika. 2018. Die Menschheit hat nach Auschwitz nichts gelernt. Interview von Vanessa Gaigg und Oona Kroisleitner. In: Der Standard. Online abrufbar unter: https://derstandard.at/2000074678346/Die-Menschheit-hat-nach-Auschwitz-nichts-gelernt (letzter Aufruf am: 09.11.2018).
Volkov, Shulamit. 2000. Antisemitismus als kultureller Code. Zehn Essays. München: C.H.Beck.
Yad Vashem. Ohne Jahr. Pädagogisches Konzept. Online abrufbar unter: https://www.yadvashem.org/de/education/about-school/pedagogic-concept.html (letzter Aufruf am: 09.11.2018).